Jetlag – weshalb unsere innere Uhr so unflexibel ist
Ein erholsames Nickerchen im Sitzen? Das funktioniert einfach nicht für jeden, da helfen weder Augenmaske noch Nackenkissen. Deshalb gibt es an dieser Stelle auch keine schlauen Tipps zum Schlafen im engen Flieger, mit denen weder 2 Meter-Riesen noch Menschen mit Schlafstörungen etwas anfangen können. Was bei einem Jetlag in unserem Körper passiert und wie ihr eure innere Uhr nach der Ankunft am Reiseziel wieder neu kalibrieren könnt, haben wir in diesem Artikel für euch zusammengefasst.
Die Sonne scheint, plötzlich herrschen sommerliche Temperaturen, auf dem Flug hat man vielleicht sogar ein paar Stunden geschlafen und trotzdem weiß der Körper ganz genau, dass es zu Hause gerade noch Schlafenszeit ist. Ein Jetlag kann einem die ersten Tage im Urlaubsparadies so richtig vermiesen. Fast fühl es sich an, wie nach einer feuchtfröhlichen Partynacht: Drückende Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Verdauungsprobleme – all diese unangenehmen Symptome machen sich oft gleichzeitig bemerkbar, wenn unser Körper plötzlich aus dem gewohnten Tag-/ Nacht-Rhythmus herausgerissen wird.
Deshalb erinnert sich der Körper beharrlich an die Uhrzeit zu Hause
Zu unserem Tag-/ Nacht-Rhythmus gehört mehr, als nur müde oder ausgeschlafen zu sein, tatsächlich läuft in unserem Körper ein kompliziertes Uhrwerk mit vielen Zahnrädern, welches sich an Umwelteinflüssen wie Licht und Dunkelheit, aber auch an Mahlzeiten, Aktivitäts- & Ruhephasen kalibriert. Im Einklang mit diesen äußeren Veränderungen innerhalb eines 24-Stunden-Rythmus finden auch in unserem Körper eine Reihe von Veränderungen (in Form von Hormonschwankungen, Körpertemperatur, körperlicher- & geistiger Leistungsfähigkeit sowie Stoffwechsel-Prozessen) statt. Nach der Säuglingsphase einmal erlernt, läuft in unserem Körper also ein feinsäuberlich gestelltes Uhrwerk, welches man auch zirkadianer Rhythmus nennt. Dieser ist ein komplexes System, das viele Aspekte unserer Physiologie und unseres Verhaltens beeinflusst. Mehr zum Thema zirkadianer Rhythmus und den Prozessen, die dabei in unserem Gehirn ablaufen, könnt ihr in diesem Artikel nachlesen.
Störungen dieses Rhythmus, wie sie durch Schichtarbeit, Schlafmangel oder Reisen über mehrere Zeitzonen hinweg (Jetlag) verursacht werden, können erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben, welche von Kopfschmerzen über Konzentrationsschwäche bis hin zu Schwindelgefühlen reichen können. Ist nach einer Reise in eine andere Zeitzone plötzlich Tag, während zu Hause tiefste Nacht herrscht, sind die Tage/Nächte deutlich länger/kürzer, weil eine ganz andere Jahreszeit herrschen und wir versuchen, von einem auf den anderen Tag nach diesem Rhythmus zu leben, kommen die Prozesse in unseren Körper einfach nicht hinterher. Die Hormonausschüttung von Melatonin oder Cortisol, welche Müdigkeit regulieren oder auch die Insulinproduktion, die unsere Verdauung steuert, finden nicht von heute auf morgen zu einer völlig anderen Uhrzeit statt. Es dauert einige Tage, um genau zu sein pro Stunde Zeitverschiebung ca. einen Tag, bis sich unser Körper vollständig umgestellt hat – bei jüngeren Menschen bei bester Gesundheit kann diese Anpassungsleistung auch schneller vonstattengehen, mit steigendem Alter braucht der Körper dafür immer länger.
Auch wenn wir nach einer langen Reise sehr müde sind und nach Ortszeit abends am Reiseziel ankommen und ins Bett fallen, kann es gut passieren, dass wir nach 1-2 Stunden mitten in der Nacht wieder hellwach sind, da der Cortisolspiegel plötzlich ansteigt, weil es in der Heimat gerade Zeit zum Aufstehen ist. Da Cortisol ein Stresshormon ist, das den Körper wach und aufmerksam hält, wird der Schlaf im weiteren Verlauf dieser Nacht unruhig. Ein niedriger Cortisolspiegel am Tag führt hingegen zu Erschöpfung und verminderter Leistungsfähigkeit.
Mehr als nur Müdigkeit – Ein Jetlag bringt häufig Verdauungsprobleme
Bereits um die Jahrhundertwende haben Wissenschaftler herausgefunden, dass es innerhalb des zirkadianen Rhythmus mehrere innere Uhren gibt – man kann sich das ein bisschen vorstellen wie die verschiedenen Zahnräder in einem Uhrwerk. Diese bewegen sich nicht alle gleich schnell und auch nicht unbedingt in dieselbe Richtung, am Ende kurbeln sie aber alle gemeinsam einen Prozess an. Für die Kalibrierung wichtiger Prozesse unserer Organe sind feste Mahlzeiten entscheidend. Daher ist es völlig normal, wenn wir nach einem Langstreckenflug zu den Essenszeiten in der ungewohnten Zeitzone erst mal keinen Hunger verspüren und es muss auch nicht unbedingt am fremden Essen liegen, wenn sich nach kurzer Zeit Verdauungsprobleme bemerkbar machen. Denn auch unser Magen stellt sich nach seiner inneren Uhr auf Ruhezeiten ein. Bedienen wir uns im Urlaub also großzügig am Abendbuffet, während es in der Heimat bereits tief in der Nacht ist, kann das zu Problemen führen:
Gestörte Darmbeweglichkeit: Der zirkadiane Rhythmus beeinflusst die wellenförmigen Bewegungen unseres Darms, die für den Transport des Nahrungsbreis notwendig sind. Bei einem Jetlag können diese Bewegungen gestört sein, was zu einer verlangsamten Darmpassage und letztlich zu Verstopfung führen kann.
Hormonelle Regulation: Hormone wie Melatonin und Cortisol, die durch den zirkadianen Rhythmus reguliert werden, haben auch Auswirkungen auf die Verdauung. Eine Desynchronisation dieser Hormone kann die Verdauungsprozesse beeinträchtigen. Zum Beispiel kann ein hoher Cortisolspiegel, der normalerweise am Morgen auftritt, den Magen-Darm-Trakt stimulieren, während ein hoher Cortisolspiegel in der Nacht störend wirken kann.
Veränderungen in der Darmflora: Die Mikrobiota (Darmflora) im Verdauungstrakt hat ebenfalls einen zirkadianen Rhythmus. Plötzliche Änderungen in den Essenszeiten können die Zusammensetzung und Funktion der Darmflora beeinflussen, was wiederum die Verdauung und die Gesundheit des Darms beeinträchtigen kann.
Dehydration & Bewegungsmangel: Hinzu kommen häufig noch zusätzliche Faktoren wie Dehydration, welche durch die überaus trockene Luft im Flugzeug und den Stress, welchen der Körper durch die Veränderungen erlebt, über Stunden auftreten kann. Langstreckenflüge schränken zudem die körperliche Aktivität ein, was ebenfalls die Darmbeweglichkeit verringern und zu Verstopfung führen kann.
Wir sehen also, die Prozesse, welche von unserer inneren Uhr und einem gewohnten Tag-/ Nacht-Rhythmus abhängig sind, sind äußerst weitreiched und komplex. Ebenso vielseitig sind die Symptome, des Jetlags, wenn diese Prozesse durcheinandergeworfen werden.
Licht & Mahlzeiten als wichtigste Taktgeber nach einer Zeitverschiebung
Was kann man also tun, um die unangenehmen Symptome eines Jetlags bestmöglich abzumildern? Viele Empfehlungen gehen in die Richtung, den Rhythmus bereits einige Tage vor dem Flug an die Uhrzeit am Reiseziel anzupassen, jedoch ist das wohl nur den wenigsten möglich. Oft wird bis einen Tag vor der Abreise gearbeitet oder zur Schule gegangen, es müssen also kleinere Maßnahmen reichen.
So kalibriert ihr die innere Uhr neu
Mit diesem Thema und der Synchronisation der inneren Uhren haben sich Forscher der Northwestern University in Illinois und des Santa Fe Instituts in New Mexiko beschäftigt. Wie bereits erwähnt, orientiert sich die innere Uhr unserer Organe stark an den eingenommenen Mahlzeiten. Wenn ihr früh morgens an eurem Reiseziel ankommt, kann es sinnvoll sein, ein solides Frühstück einzunehmen, um den Körper auf den Start in den Tag einzustellen. Auch die Art des Essens ist entscheidend: Eiweißreiche Kost hält uns eher wach und gibt lange Energie, während zucker- oder kohlenhydratreiche Lebensmittel eher müde machen. Letztere können so beispielsweise am Abend verzehrt werden, wenn wir nach der Anreise eigentlich nicht so recht müde sind.
Für unser Gehirn und die dort ablaufenden Prozesse der Melatonin- und Cortisol-Produktion ist Tageslicht der wichtigste Taktgeber. Versucht also unbedingt, nach der Ankunft am Reiseziel direkt nach dem dortigen Tagesrhythmus zu leben. Um Müdigkeit zu überwinden, ist es empfehlenswert, sich tagsüber möglichst viel Licht auszusetzen und an der frischen Luft spazieren zu gehen, um die Melatoninproduktion zu hemmen bzw. umzustellen.
Mit dem Älterwerden wird dies laut den Ergebnissen der Studie jedoch immer schwieriger, da im Laufe der Zeit die Lichtempfindlichkeit des Körpers sinkt und die zirkadianen Uhren einander immer schwächere Signale senden. So treten sogar zu Hause im Alltag immer häufiger Schlafstörungen auf und nach einem Jetlag dauert es entsprechend viel länger, bis sich die inneren Uhren wieder neu eingestellt haben. Trotzdem ist es wichtig, der Müdigkeit nach der Ankunft nicht nachzugeben und auch dann abends ins Bett zu gehen, wenn es zu Hause vielleicht gerade helllichter Tag ist und wir uns so gar nicht nach Schlafenszeit fühlen.
Schlafen während eines Langstreckenfluges
Ob ihr im Flugzeug schlaft oder nicht, macht ihr am besten von der Ankunftszeit abhängig: Ist es am Reiseziel gerade Abend, wenn ihr landet, solltet ihr versuchen durchzuhalten, um zur Schlafenszeit in der neuen Zeitzone so richtig müde und kaputt zu sein. Andersherum solltet ihr natürlich versuchen, im Flieger so viel Schlaf zu bekommen wie irgendwie möglich, sofern ihr morgens am Reiseziel ankommt.
Zum Schlafen im Flieger selbst wollen wir jedoch gar keine großartigen Tipps geben, denn am Ende ist es nun mal so, das einige Menschen im Sitzen problemlos einige Stunden erholsamen Schlaf bekommen, während für andere nicht mal an Dösen oder Nickern zu denken ist. Daher haben wir eine kleine Packliste für euch zusammengefasst, an der ihr euch orientieren könnt, damit ihr die Flugzeit so erholsam und angenehm wie möglich verbringen könnt.
Packliste fürs Schlafen im Flugzeug:
Nackenkissen: Sobald wir in den Tiefschlaf sinken, lässt die Körperspannung nach. Hat der Kopf beim Schlaf im Sitzen keinen Halt, wird der immer wieder zur Seite oder nach vorn kippen und es greift ein Schutzmechanismus, der uns in den Leichtschlaf zurückholt, um die Körperkontrolle aufrechtzuerhalten. Tiefes Einschlafen wird so nahezu unmöglich und wenn doch, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser in einer Position verbracht wird, aus der wir mit Kopf- und Nackenschmerzen wieder aufwachen.
Zahnbürste: Das gewohnte Ritual vor dem Schlafengehen kann helfen, dem Gehirn auch im Flugzeug zu signalisieren, dass nun eine Ruhephase beginnt. Gleiches gilt natürlich auch für allen andern Zubettgehen-Rituale, die ihr habt, sofern sie sich im Flieger umsetzen lassen.
Augenmaske oder Sonnenbrille: Dunkelheit hat für die Melatoninproduktion in unserem Gehirn eine entscheidende Signalwirkung. Daher kann es sinnvoll sein, Lichtquellen durch eine Augenmaske oder eine Sonnenbrille zu minimieren, um eine dunkle Schlafumgebung zu schaffen, die uns müde werden lässt.
Ohrstöpsel oder beruhigende Hörspiele: Mithilfe von Ohrstöpseln oder Noice-Canceling-Kopfhörern könnt ihr den Lärm im Flugzeug dämpfen. Aber auch Hörspiele mit beruhigenden ASMR-Klängen können dabei helfen, einen Zustand der Entspannung zu erreichen und vielleicht etwas zu dösen. Achtet ggf. auch mal auf das brummende Geräusch der Turbinen. Auf einige Personen wirkt das bereits so beruhigend, dass sie dabei einschlafen können – vielleicht ist das ja auch etwas für euch. Mehr Infos zum Thema Einschlafen mit rauschenden Klängen (white Noise), findet ihr in diesem Artikel.
Warme Socken, Decke oder Schal: Gerade wenn wir müde werden, sinkt die Körpertemperatur ab und im Flugzeug kann es sehr kalt werden. Auch um eine Erkältung durch die sehr trockene Luft im Flugzeug zu vermeiden, ist es sinnvoll, einen Schal oder eine Decke einzupacken. Wenn ihr an ein warmes Reiseziel fliegt und nur Sandalen anhabt, packt unbedingt auch noch ein paar wärmende Kuschelsocken ein – denn mit kalten Füßen schläft es sich erst recht nicht gut ein.
Kompressionsstrümpfe: Sie können beim Schlafen im Sitzen ein wahrer Segen sein, denn sie verhindern das unangenehm drückende Anschwellen der Füße. Informiert euch vor einem Langstreckenflug am besten mal im Sanitätshaus um die Ecke, was für euch passend sein könnte.
Sind Schlafmittel gegen den Jetlag empfehlenswert?
Wenn ihr bereits Erfahrung mit Schlafmitteln wie Melatonin habt und wisst, wie ihr diese Mittel für euch anzuwenden habt, könnt ihr auch das natürlich auch auf Reisen zunutze machen, um den Jetlag abzumildern. Ohne jegliche Erfahrung mit Schlafmitteln in das Zeitzonen-Chaos unserer inneren Uhr hinein einen ersten Test zu starten, ist jedoch nicht empfehlenswert, das kann alles nur noch mehr durcheinanderbringen, vor allem dann, wenn die richtige Dosis und der optimale Einnahmezeitpunkt nicht bekannt sind. Wenn ihr eine längere Reise plant und darüber nachdenkt, es mal mit Schlafmitteln zu probieren, haltet am besten im Vorfeld mit eurem Hausarzt Rücksprache, denn es gibt einige Schlafmittel, die „nur“ apothekenpflichtig sind, die eine sehr starke Wirkungen haben, die unterschätzt werden kann.